Das 30 heutzutage ist nicht das 30 vor 30 Jahren.
Als ich ein Kind war, waren Erwachsene in meinem Alter irgendwie mehr erwachsen, als ich es jetzt bin. Ich hatte dieses vorgefertigte Bild von einem Erwachsenen, und wie er zu sein hatte, weiter hat man nicht gedacht. Schlimmer noch: Menschen über Dreißig waren als eigenständige Persönlichkeiten so unerreichbar weit weg, dass es mir nicht in den Sinn kam, dass sie überhaupt Persönlichkeiten hatten, so brutal es klingen mag. Sie waren eben Bezugspersonen: Eltern, Lehrer:innen, Verwandte – die konnten doch kein eigenes Leben führen, außer dem, in das ich direkt integriert war, oder? Das wirkte alles auf mich so befremdlich. Zur Verteidigung dieser absolut blödsinnigen Gedankengänge: Das wurde mir so vorgelebt. Es wurde meiner Generation vorgelebt. Mit 30 hattest du, vor allem als Frau, in ein gewisses Schema zu passen – auch wenn es nicht ausgesprochen wurde, man wusste es irgendwie. Als ob das Leben mit 30 eine Kehrtwende machen würde, man ab jetzt nur mehr superseriöse und langweilige Dinge tun darf und muss, was auch immer das überhaupt bedeuten soll – so hatte ich das leider lang in meinem Kopf abgespeichert. Und jetzt bin ich 32, meine Freund:innen sind es auch: Wir sind auf einmal selbst Menschen in Führungspositionen, einige von uns Eltern, wir tragen Verantwortung für uns und andere – und schicken uns trotzdem jeden Tag zwanzig Spongebob-Memes hin und her, erwischen uns dabei, wie wir von „den Erwachsenen“ sprechen und damit unsere Elterngeneration meinen. Freundinnen, die mit 31 ein Baby bekommen, behaupten von sich: „Hey, ich bin jetzt auch eine Teen Mom!“ Wir nehmen uns alle irgendwie nicht ganz so ernst, und das macht auch viel mit uns. Ich schreibe hier aus einer sehr privilegierten Bubble und Position heraus. Allein, dass wir diese Gedanken haben dürfen, ist ein Privileg, das Generationen vor uns nicht hatten – und immer noch sehr wenige Menschen besitzen. Dessen bin ich mir bewusst, und liebe Leser:innen, seid es euch auch beim Lesen dieses Meinungskommentars. Das ist kein Manifest, das stellvertretend für eine gesamte Generation steht, es sind bloß die Worte eines 30-jährigen Teenagers.
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„I’m just a 30-year-old teenage girly“
In meinen Zwanzigern wartete ich vergeblich auf den Tag, an dem ich aufwachen und realisieren würde, „so, jetzt bin ich erwachsen“. Doch dieser Tag kam nie. Zum Glück. Ich will an dieser Stelle nicht darüber schwadronieren, dass ich ewig jung bleiben will. Das möchte ich gar nicht, im Gegenteil. Mit jedem Jahr realisiere ich mehr, was Älterwerden eigentlich für ein Privileg ist. Ich habe nur zunehmend das Gefühl, dass meine Generation die Definition von „erwachsen“ etwas verschoben hat – zu unser aller Gunsten.
Ich habe zunehmend das Gefühl, dass meine Generation die Definition von „erwachsen“ etwas verschoben hat – zu unser aller Gunsten.
Aleksandra Tulej
Ich bin nicht allein mit diesen Gedanken: Ihr kennt bestimmt die „Meine Eltern in meinem Alter vs. ich in meinem Alter“-Memes, in denen gezeigt wird, wie 24-Jährige früher stolze Besitzer:innen eines Eigenheimes und Eltern von fünf Kindern waren, während wir es gerade so schaffen, dass unsere Zimmerpflanzen halbwegs überleben. TikTok ist voll von „I’m just a 30-year-old teenage girly“- Videos, in denen Millenials auf eine humorvolle Art erklären, warum sie sich eben wie Jugendliche fühlen: Weil unsere Welt sich verändert hat und weiter verändert. Und weil Botox zugänglicher geworden ist. Spaß.
Ich frage mich an dieser Stelle aber auch, ob die Generationen vor uns ähnliche Gedanken hatten, sie sie nur besser verstecken konnten? Verstecken mussten? Wir bilden uns diese Veränderungen aber nicht ein. Das 30 heute ist nicht das 30 vor 30 Jahren. Gut, damit könnte man jetzt ewig argumentieren: Bis 1842 war Kinderarbeit in Österreich legal, im Mittelalter war man mit 30 überhaupt schon eine alte Frau, in der Steinzeit… heißt das, wir werden in 4.000 Jahren im zarten Alter von 100 eingeschult? Spaß beiseite, ich muss hier einen seriösen Text über 30-jährige Teenager schreiben. Einerseits gibt es da die messbaren Faktoren.
Die altbekannten Meilensteine und die Jugend heutzutage
Die altbekannten Meilensteine, die traditionell früher passiert sind, passieren nun immer später: Wir heiraten später (wenn überhaupt), kriegen später Kinder (wenn überhaupt). Im Jahr 2023 lag das durchschnittliche Alter von Frauen in Österreich bei der Geburt ihres ersten Kindes bei etwa 31,5 Jahren. Im Vergleich dazu bekamen Frauen 1990 mit 25,1 ihr erstes Kind. Auch was die Wohnsituation anbelangt, hat sich einiges geändert: Das Eigenheim bleibt für viele ein Traum, die Preise für Eigentumswohnungen sind in den letzten Jahren regelrecht explodiert. Plus: Frauen sind in den letzten Jahrzehnten ein immer beträchtlicherer Teil der Arbeitswelt geworden – erst Karriere, dann alles andere quasi.
Aber die weniger sichtbaren Meilensteine, die gibt es – vor allem für uns Frauen – jetzt immer mehr: Wir haben viel mehr Möglichkeiten als die Generationen vor uns. Unser Leben ist nicht mehr so vorgefertigt. Ich bin die erste Frau in meiner Ahnen-Linie, die allein wohnt. Unverheiratet. Mag für manch einen keine Errungenschaft sein, es ist aber allenfalls eine Möglichkeit, die die Generationen vor mir nicht hatten – oder sie nicht wahrgenommen haben, weil „man das halt damals nicht so gemacht hat“. Gesellschaftliche Konventionen ändern sich gemeinsam mit uns. Oder wir verändern sie.
Ich mag diese neue Generation von Erwachsenen jedenfalls. Irgendwie bekommen wir das alles ja ganz gut hin, auf unsere eigene Art und Weise eben. Und dann gibt es sie doch, die Momente, in denen man merkt, man ist kein Teenager mehr: Wenn man mit tatsächlichen Teenagern spricht, und draufkommt, dass sie genau das über uns denken, was wir früher über unsereins gedacht haben – ach, die Jugend heutzutage.
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Infos und Quellen
Genese
WZ-Redakteurin Aleksandra Tulej ist 32 Jahre alt und ertappt sich immer wieder bei dem Gedanken, dass ihre Generation das Erwachsensein irgendwie anders interpretiert als die Generationen davor.
Daten und Fakten
Im Jahr 2023 betrug das durchschnittliche Heiratsalter in Österreich etwa 33,5 Jahre für Männer und 31,5 Jahre für Frauen.
Im Jahr 2023 lag das durchschnittliche Alter von Frauen in Österreich bei der Geburt ihres ersten Kindes bei etwa 31,5 Jahren. Im Vergleich dazu betrug das durchschnittliche Alter im Jahr 1990 nur 25,1 Jahre. Dieser Anstieg zeigt einen klaren Trend zur späteren Mutterschaft in Österreich über die letzten Jahrzehnte.
1985 gab es in Österreich 768.000 Ein-Personen-Haushalte, heute sind es etwa 1,572.700.
Quellen
Das Thema in der WZ
Generation Z(unkunftsangst)
Für immer jung: wie geht das?